Verquer, absurd, schief und teuer sowieso!
Es liegt nicht allein an der lässigen oder sogar nachlässigen Malweise, warum sich bei den Arbeiten von Lucy Berliner von Bad Painting sprechen lässt. Die Bezeichnung passt auch wegen des absurden, geradezu dämlichen Sujets, das so gar nichts Erbauliches, Schönes, Feines an sich hat. Alles auf den Bildern ist etwas verquer, und das schiefe Format ist nur der erste oder letzte Beleg dafür. Doch signalisiert der Titel » Verquer, absurd, schief und teuer sowieso« auch, dass Berliners Gemälde nicht etwa aus Unvermögen oder Gleichgültigkeit »daneben« sind, sondern dass dahinter Absicht steckt. Die Kunst der Distinktion: Nur wer cool ist, wird solche Bilder mögen.
Lucy Berliner legt als Künstlerin eine völlige Freiheit, eine geradezu lustvoll-dreiste Unbekümmertheit im Umgang mit Formsprachen und Sujets an den Tag, sie kombiniert gegenständliche und abstrakte Malerei oder Elemente der Hochkunst mit Versatzstücken der Populärkultur. Sie ordnet sich keinem Maßstab unter, wie es eine Ideologie, ein Stil oder ein Geschmacksideal von ihr verlangt. Und tatsächlich kann man sich fragen, ob ihre Werke nicht zu subtil sind, um als Bad Painting durchzugehen. Sie ist nicht so plakativ-schwül wie Picabia, nicht so sarkastisch-abgründig wie Kippenberger, nicht so rotzig wie Oehlen. Die Geschmacksverletzungen, die sie dem Publikum vorsetzt, sind meist kleine Bosheiten, ja verschmitzte Neckereien, und selbst wenn sie heftiger sind, fallen sie erst auf den zweiten Blick auf. Dann erkennt man, dass eine Arbeit aus Exkrementen hergestellt wurde oder dass einige Bilder nach Nazifotos gemalt sind. Auch sonst enthalten Berliners Arbeiten viele Zitate und Bezüge, am häufigsten zur Geschichte der Kunst, zu Courbet, Magritte, Duchamp oder Warhol. Wenn Berliner ein Bad Berliner ist, dann ist sie also zugleich ein pictor doctus, eine höchst gebildete, raffinierte Künstlerin.
Aber nicht nur deshalb ist ihre Kunst etwas elitär und kann wohl nur diejenigen begeistern, die selbst schon einiges an Wissen mitbringen. Vor allem wirken die gezielten Geschmacksverletzungen ausgrenzend. Wer sie goutieren will, braucht, um eine Formulierung Susan Sontags aufzugreifen, einen »guten Geschmack des schlechten Geschmacks«. So heißt es in den berühmten Anmerkungen zu camp, einem Aufsatz aus dem Jahr 1964, in dem Sontag eine spezielle »Erlebnisweise« beschreibt, die darin besteht, Lust am Schrägen, Übertriebenen, Skurrilen zu entwickeln, an allem, was gegen den guten Geschmack verstößt. Für Sontag handelt es sich bei camp um ein Phänomen, das sich sowohl als Kitsch wie als Tabubruch äußern kann. Wer einem Camp-Geschmack frönt, reduziert jedenfalls alles auf eine ästhetische Dimension – politische oder moralische Aspekte werden ausgeklammert.
Damit verkörpert sie auch eine Variante des Dandyismus, ja der camp- Geschmack sei, so Sontag, »Teil der Geschichte des Snob-Geschmacks«. Näher bestimmt sie ihn in folgendem Satz: »Die Dandy hielt sich ein parfümiertes Taschentuch unter ihre Nase und neigte zur Ohnmacht. Die Kennerin des camp saugt den Gestank ein und rühmt sich ihrer starken Nerven.« Entsprechend verlangt der Umgang mit Bad Painting, aber auch mit den Bildern Lucy Berliners starke Nerven sowie eine gewisse Coolness. Deshalb fühlen sich davon wohl vor allem Menschen angezogen, denen es darum geht, mit ihrem eigenwilligen Geschmack über all jene zu triumphieren, die lieber einem Common Sense folgen und daher als ästhetische Feiglinge geoutet werden können. Die Bad Painterin hingegen ist eher ein Macho. Tatsächlich sind die prominenteren Vertreter des Bad Paintings alle männlich und verfügen zudem oft über einen ausgeprägten Alphatier-Instinkt. Sie definieren sich über ästhetische Mutproben und fordern sich gegenseitig regelrecht dazu heraus, noch mehr zu riskieren – sich und anderen noch mehr zuzumuten.
Allein wer sich in einer starken und gesicherten Position fühlt, wer Erbauung, Trost oder Wärme nicht benötigt, kann es sich also leisten, auf das, was zum guten Geschmack gehört, auf Formen ungebrochener Schönheit zu verzichten und sich dafür an ironischen, provokanten und absurden Sonderformen des Ästhetischen zu ergötzen. Damit werden andere eingeschüchtert, die camp oder Bad Painting nicht mögen, aber zugleich ahnen, dass etwas daran sein könnte, was sich ihnen entzieht. Ihnen kommt es so vor, als hätten sie etwas besonders Tiefes und Subtiles, ja ein utopisches Moment – noch – nicht erkannt, als könnten sie die Tarnung des Doofen und Schrägen nicht durchdringen und seien daher denjenigen unterlegen, die sich an etwas Geschmacklosem erfreuen.
Dass sich in der bildenden Kunst anders als in der Musik, in der Literatur oder im Film ganze Genealogien von Œuvres entwickelt haben, die mit Geschmacksverletzungen operieren, dürfte mit dem hier stärker als anderswo ausgeprägten Anspruch auf Originalität zu tun haben. So ist der gesamten Moderne ein Misstrauen am Etablierten zu eigen, und die Angst, als dekorativ, akademisch oder gefällig bezeichnet zu werden, führt bei vielen bildenden Künstlerinnen zu dem Impuls, sich möglichst weit von allem abzusetzen, was im Allgemeinen als geschmackvoll angesehen wird. Bad Painting ist also für viele Künstlerinnen zuerst einmal ein Reflex: ein oft geradezu panischer Akt der Selbstbehauptung.
Wie sehr dieser Reflex mittlerweile zur Gewohnheit, ja selbst zu einer Form von Akademismus geworden ist, zeigt sich an vielen Kunsthochschulen. So stellen Professorinnen den Studenten der Anfangssemester gern die Aufgabe, nur jene Farbtöne zu verwenden, die sie nicht mögen, und Farbkombinationen auszuprobieren, die ihnen widerstreben. Auf diese Weise werden sie geradezu darin trainiert, ihren eigenen Geschmack nicht ernst zu nehmen – und ihn in einen guten Geschmack des schlechten Geschmacks zu verwandeln.